Geschichte der Kemenate Hagenbrücke
In der Kemenate Hagenbrücke treffe ich Udo Gebauhr, Kuratoriumsmitglied der Stiftung Prüsse und ehemaliger Denkmalpfleger der Stadt Braunschweig. Er erklärt mir, dass das steinerne Gebäude, das ich gleich betreten werden, in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden ist. Damit ist es eines der ältesten erhaltenen nichtkirchlichen Gebäude in Braunschweig. Die Kemenate Hagenbrücke entspricht in ihrer Bauweise den Braunschweiger Kemenaten des 13. und 14. Jahrhunderts.
Die Kemenaten waren regelmäßig Teil eines Doppelhauses. An der Straße lag das in Fachwerk errichtete Vorderhaus, daran hofseitig direkt anschließend die steinerne Kemenate. Durch ihre Ausführung in Stein waren die Kemenaten in Zeiten häufiger und verheerender Stadtbrände vor Feuer besser geschützt als die Fachwerkholzbauten. Und mit der Möglichkeit, in der kalten Jahreszeit zu heizen, boten die Kemenaten attraktiven Wohnraum. Der Vorteil des Doppelhauses: Alle Geschosse der Kemenate konnten direkt vom Vorderhaus erreicht werden. In der Kemenate selbst waren also keine Treppen erforderlich und auch eine eigene Haustür entfiel. Dies alles galt auch für die Kemenate Hagenbrücke.
Im Bombenhagel des Kriegsjahres 1944 wurde die Fachwerkbebauung der Braunschweiger Neustadt komplett zerstört, auch das historische Vorderhaus der Kemenate. Die Kemenate selbst brannte vollständig aus, auch das Dach ging verloren. Dr. Dieter Buck, mit den damaligen Grundstücksbesitzern verwandt, übernahm die Ruine. Er begann 1946, die Trümmer auf dem Grundstück zu beseitigen. Bis 1950 baute er das zweigeschossige, nun freistehende Steinhaus wieder auf und nutzte es zum Wohnen.
So kam es zur Stiftung Prüsse
Diese Jahre nach dem Krieg sind dem gebürtigen Braunschweiger Jochen Prüsse in lebendiger Erinnerung geblieben. Als Kind streifte er durch die zerstörten Straßen der Stadt und spielte in den Trümmern. Später setzte sich der Unternehmer gemeinsam mit seiner Frau Karin zum Ziel, einzelne Stücke der historischen Stadt Braunschweig zu erhalten.
Im Jahr 2006 gründete das Paar die Stiftung Prüsse. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Braunschweig noch immer trostlose Ruinen. Zweck der Stiftung ist deshalb unter anderem der Erhalt von Baudenkmälern im Braunschweiger Land, hauptsächlich der Jakob-Kemenate und der Kemenate Hagenbrücke.
“Ich will der Stadt, in der ich aufgewachsen bin und lebe, etwas zurückgeben”, erklärt Jochen Prüsse sein Engagement bei meinem Besuch in der Kemenate Hagenbrücke. “Baudenkmäler sind wie Zähne in einem Gebiss”, lautet sein Vergleich. Für ihn ist es schwer zu ertragen, wenn in der Zahnreihe Ruinen stehen oder gar Lücken klaffen.
Mit der Jakob-Kemenate fing alles an
Seit dem Jahr 2001 ist die Jakob-Kemenate im Besitz der Prüsses. Auch die Kemenate am Eiermarkt wurde im Krieg beschädigt, verlor das Dach. Nach dem Krieg mussten auch die beiden steil aufragenden Giebelscheiben aus Sicherheitsgründen abgerissen werden. Durch ein zügig aufgebrachtes Notdach „überlebte“ die Kemenate witterungsgeschützt. Ihre zahlreich erhaltenen Gebäudeteile und wertvolle Befunde wie einige Relikte von Wandmalereien wurden so erhalten. Das Gebäude war zwischenzeitlich in das Eigentum der benachbarten St.-Martini-Gemeinde übergegangen. Sie nutzte es als Abstellraum und bewahrte so das wertvolle Baudenkmal über Jahrzehnte nahezu unverändert.
Jochen Prüsses Plan mit der Kemenate war von Anfang an, “ein einzigartiges Kulturprojekt zu realisieren und in eine Stiftung zu überführen.” Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Prüsse Gemälde und Zeichnungen, die das zerstörte und im Wiederaufbau befindliche Braunschweig zum Inhalt haben, gesammelt. Ihn sprach das Fragmentarische und zugleich Authentische der Jakob-Kemenate an. Mit Hilfe des renommierten Architekturbüros Ottinger Architekten und in Zusammenarbeit mit dem städtischen Denkmalpfleger Udo Gebauhr sowie dem Künstler Jörg Plickat entstand bis 2006 ein enzigartiges Ensemble aus mittelalterlichem Baudenkmal, zeitgenössicher Architektur und moderner Kunst.
Doch Prüsse wollte mehr. Sein erklärtes Ziel war, die Jakob-Kemenate einer sinnvollen Nutzung zuzuführen und das Gebäude mit Leben zu füllen. Heute ist die Kemenate in Braunschweig als modernes Kunst- und Begegnungszentrum mit einem gut gefüllten Veranstaltungkalender bekannt.
Raum für Dauer- und Wechselausstellungen in der Kemenate Hagenbrücke
Im Jahr 2012 erwarb die Karin und Jochen Prüsse Stiftung die Kemenate Hagenbrücke. Nach dem Vorbild der Jakob-Kemenate gestalteten die neuen Besitzer das zweite Objekt wieder mit den OM Architekten und im Einvernehmen mit den Stellen der Denkmalpflege zu einem Ort für Kunst und Kultur um. Wie schon die Jakob-Kemenate erhielt auch die Kemenate Hagenbrücke einen notwendigen Ergänzungsbau.
Seit 2016 sind zwei Dauerausstellungen in der Kemenate Hagenbrücke beheimatet. Gezeigt werden Werke der Braunschweiger Künstler Jürgen Weber und Günter Affeldt. Zu den berühmtesten Werken des Bildhauers Jürgen Weber zählen das skandalträchtige Relief “Das Liebespaar” und der “Flötenspieler”. Beide Kunstwerke sind neben anderen Werken Webers in der Kemenate Hagengrücke zu sehen.
Der Maler Günter Affeldt gilt als einer der bedeutenden Nachwuchsmaler nach dem Krieg. Als 20-Jähriger wandte er sich 1945 dem Expressionismus zu. Mit besonderer Hingabe schuf er gezeichnete und gemalte Portraits. Ein guter Teil dieses Schaffensgebietes befindet sich im Besitz der Stiftung Prüsse und kann öffentlich gezeigt werden.
Aktuelle Ausstellung: Herbstbilder von Bianca Riese
Während ich noch meinen Rundgang durch den Dauerausstellungsbereich im Foyer, im Innenhof und in den beiden Stockwerken der Kemenate beende, kommen immer mehr Gäste in die Kemanate Hagenbrücke. Passend zur Jahreszeit wird eine Ausstellung mit Herbstbildern von Bianca Riese eröffnet. Bianca Riese ist in Braunschweig eher als Kantorin bekannt. Zur Kamera greift sie zur Entspannung und aus Liebe zur Natur. Die Ausstellung ist bis zum 12. Oktober 2024 zu sehen.
Blick in die Zukunft: Pop-Art aus Gummibären und ganz viel Kultur
Von 1. November bis 15. Dezember 2024 ist in der Jakob-Kemenate Kunst von Johannes Cordes zu sehen. In 2002 startete der Künstler ein Experiment: Er begann, Andy Warhols berühmte Marylin-Monroe-Darstellung aus Gummibärchen zu gestalten. Cordes nannte sein Werk liebevoll “Bärylin”. Zwei Jahre später gelang ihm mit großflägigen Hommagen an Salvador Dali der Durchbruch.
Das kommende Jahr steht in der Kemenate Hagenbrücke ganz im Zeichen des Braunschweigers Günter Affeldt. Geplant ist eine umfangreiche Ausstellung mit vielen großflächigen Bildern des Malers, die bisher so nicht gezeigt wurden.
Die Reihe der Veranstaltungen, die bis Anfang des kommenden Jahres in der Jakob-Kemenate geplant sind, ist lang und abwechslungsreich. Von fotografischen Bildreihen über Kunstbetrachtungen mit Claudia und Magnus Kleine-Tebbe bis hin zu musikalischen Lesungen und dem Format “In 80 Zeilen um die Welt” mit NDR-Redakteur Dr. Andreas Döhring spannt sich der Bogen. Nicht zu vergessen die Veranstaltungen zu Weihnachten und Neujahr, die bereits zum größten Teil ausverkauft sind. Weitere Informationen hier.
Überhaupt sind Herbst und Winter die besten Jahreszeiten, um die beiden Braunschweiger Kemenaten zu entdecken. Bei Kulturgenuss im beeindruckenden architektonischen Umfeld lässt sich die Tristesse grauer Tage schnell vergessen. Ich werde wohl die Ausstellung von Johannes Cordes nutzen, um auch die Jakob-Kemenate persönlich kennenzulernen.
Kontakt
Jakob-Kemenate
Eiermarkt 1 B
38100 Braunschweig
Telefon 0531 1238450 oder 0160 99823124
Kartenreservierung unter 0531 22434842
Geöffnet von Montag bis Samstag von 11 bis 17 Uhr, Sonntag von 12 bis 17 Uhr. An Feiertagen geschlossen
Webseite jakob-kemenate
Kemenate Hagenbrücke
Hagenbrücke 5
38100 Braunschweig
Telefon 0531 61285888 oder 0160 99823124
Geöffnet von Dienstag bis Samstag von 11 bis 17 Uhr; Montag, Sonntag und Feiertage geschlossen
Webseite kemenate-hagenbrücke
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